Int. Fußball

Kai Wagner im Interview über die MLS, Philadelphia und Robin Gosens

MLS-Profi über die Play-offs, Philadelphia und einen Wechsel

Wagner im Interview: "Den Glauben, Nationalspieler zu werden, habe ich nie verloren"

Will mit Philadelphia Meister werden: Linksverteidiger Kai Wagner.

Will mit Philadelphia Meister werden: Linksverteidiger Kai Wagner. Getty Images

Herr Wagner, werden die Menschen in Philadelphia langsam unruhig?

Unruhig nicht, aber jeder wartet sehnsüchtig darauf, dass es endlich losgeht.

Die Play-offs in der MLS beginnen, und Philadelphia Union hat vermutlich so große Chancen wie noch nie, am Ende Meister bzw. MLS-Cup-Champion zu werden. Spüren Sie den Druck?

Was heißt Druck? Wir freuen uns wahnsinnig, nach zwei Wochen Pause wieder spielen zu dürfen. Nach dieser Saison rechnet vielleicht jeder damit, dass wir das Ding gewinnen, und natürlich wollen wir das auch, aber Druck spüren wir gar nicht. Hier in Philadelphia ist es definitiv so, dass der Fußball sich hinter Football und Basketball anstellen muss, deshalb hängt das Glück vieler Schicksale nicht direkt an uns. Man spürt dennoch, dass die Stadt den Play-offs entgegenfiebert und "Soccer" im Ansehen gestiegen ist. Vor allem, weil Basketball noch nicht gespielt wird und das Football-Team ziemlich schlecht ist. (grinst) Ich mache mir eher selbst viel Druck, weil ich unbedingt Meister werden will.

Sie haben die Regular Season mit der besten Punkteausbeute aller 26 MLS-Teams abgeschlossen. Was zeichnet Ihr Team aus?

Wir haben zwar Brenden Aaronson (20-jähriger Mittelfeldspieler, wechselt im Januar für eine "Rekord-Ablöse" zu RB Salzburg, d. Red.) oder Mark McKenzie (21-jähriger Innenverteidiger, d. Red., "der wechselt garantiert nach Europa", Wagner), aber insgesamt gibt es nicht den einen Star bei uns. Wir sind wie eine große Familie, die im Kollektiv überragend funktioniert. Wir pressen über 90 Minuten mit zehn Mann, wenn nicht manchmal sogar noch zu elft mit dem Torwart. (lacht) Wenn da einer schläft, wird unser Spiel nicht funktionieren.

Viele sagen, ich wurde hier zum besten Linksverteidiger der Liga.

Kai Wagner

Sie selbst haben zum Aufschwung der Union seit Ihrem Wechsel nach Philadelphia vor anderthalb Jahren keinen unwesentlichen Teil beigetragen.

Man redet nicht gern über sich selbst, aber man muss schon sehen, dass ich aus der 3. Liga kam und in Amerika, wie viele sagen, zum besten Linksverteidiger der Liga wurde.

Im Februar 2019 waren Sie gerade noch 21, mit den Würzburger Kickers mitten in der Drittliga-Saison. Wie haben Sie dann vom Angebot aus Philadelphia erfahren?

Würzburg hatte im Sommer schon mit mir verlängern wollen, ich war da noch etwas vorsichtiger. Nachdem es für mich ganz gut lief, kamen im Winter einige Anfragen, auch aus der 2. Bundesliga. Da waren aber nicht die Sachen bei, bei denen ich gesagt hätte: 'Okay, das muss ich sofort machen.' Zumal ich immer schon ein Faible fürs Ausland hatte.

Kai Wagner mit Landsmann Kacper Przybylko

Vorbereiter und Vollstrecker: Kai Wagner mit Landsmann Kacper Przybylko. imago images

Und statt 2. Liga dann MLS?

Natürlich war es überraschend, auf einmal eine Anfrage aus Amerika zu bekommen. Da denkt man ja sonst kaum drüber nach. Ich hatte sogar erst noch Gespräche mit einem anderen MLS-Verein, aber als Ernst Tanner (deutscher Sportdirektor bei Philadelphia Union, d. Red.) anrief, bekam ich gleich ein gutes Gefühl. Philadelphia zeigte mir einen klaren Weg auf, der gut zu meinen Vorstellungen passte.

Mit 21 in die USA zu wechseln, ist durchaus ungewöhnlich. Haben Sie die Major League Soccer als Durchgangsstation betrachtet?

Für mich war das von Anfang an eine Durchgangsstation. Selbst Philadelphias Plan sah vor, mich weiterzuentwickeln und zwei oder drei Jahre später für etwas mehr Geld wieder nach Europa zu verkaufen. Und das wollte ich auch. Zum einen konnte ich in den USA eine unglaublich wertvolle Auslandserfahrung, zum anderen aber auch Erfahrung auf einem höheren Niveau sammeln.

Man kann auch mal sehen, was Robin Gosens für einen Weg eingeschlagen hat.

Wagner über Vorbilder

Und auf welchem Niveau bewegt sich die Major League Soccer?

Ich habe zwar bislang noch nicht in der Bundesliga gespielt, aber ich würde ungefähr untere Riege Bundesliga, obere Hälfte 2. Liga vermuten. Die MLS hat in den letzten Jahren echt zugelegt, das ist keine Rentnerliga mehr. Besonders, wenn ich auf uns schaue: Das ist eine junge, hungrige Truppe mit einer klaren Spielidee, die Ernst Tanner von Red Bull Salzburg mitgebracht hat (Tanner war dort zwischen 2012 und 2018 Leiter der Nachwuchsabteilung, d. Red.). Natürlich gibt es immer noch Teams, die den Ball nach vorne schlagen und dann auf zweite Bälle lauern, aber insgesamt ist das spielerische Niveau schon gestiegen. Und für mich im Vergleich zur 3. Liga vorher ein klarer Aufstieg.

Wie verlief die Umstellung im Alltag, vom malerischen Würzburg ins große Philadelphia?

Ich bin in einem kleinen Dorf zwischen Ulm und Stuttgart aufgewachsen, deshalb habe ich mir in Philadelphia auch eine Bleibe 25 Minuten außerhalb der Stadt im Grünen gesucht. Dort fühlen meine Frau und ich uns total wohl, im März ist unser Sohn zur Welt gekommen.

Sie haben sich als Linksverteidiger mit sechs Vorlagen in der ersten Saison angemeldet, mit einem Tor und zwei Assists in dieser aufgrund der Pandemie so verzwickten Spielzeit. Ihr Trainer Jim Curtain sagte kürzlich, es gebe auf der Welt nicht viele gute "linksfüßige Linksverteidiger", Sie seien jedoch ziemlich einzigartig.

Was mich glaube ich auszeichnet, speziell hier in Philly, ist der Siegeswille, den ich mitgebracht habe. Bevor ich ankam, wurde im Training oft locker und spaßig gekickt. Seit wir hier ein paar Europäer mehr sind, geht's richtig zur Sache. Ich bin 90 Minuten fokussiert, will hinten die Seite sauber halten aber auch nach vorne Dampf machen. Ich war wegen einer Verletzung lange raus in dieser Saison, habe aber trotzdem von allen Spielern der Liga die drittmeisten Flanken geschlagen. Das ist schon nicht so schlecht, würde ich sagen.

Gibt es Vorbilder auf Ihrer Position, an denen Sie sich orientieren?

Als ich damals bei Schalke in der zweiten Mannschaft gespielt habe (2016 bis 2017, d. Red.), war Sead Kolasinac einer, zu dem ich aufgeschaut habe. Wir ähneln uns von der Spielweise, sind beide sehr robust und Kämpfertypen. Man kann auch mal sehen, was Robin Gosens zum Beispiel bei Atalanta Bergamo für einen Weg eingeschlagen hat. Er kam aus von einem kleinen Verein aus Deutschland (VfL Rhede, d. Red.) und ist jetzt bei Atalanta Bergamo Nationalspieler geworden. Das ist natürlich ein Weg, den ich sehr bewundere. Den Glauben, mal Nationalspieler zu werden, habe ich nie verloren.

Ich will im Januar, spätestens aber im Juli, wieder nach Europa wechseln.

Wagner über den nächsten Schritt

In der vergangenen Woche tauchten Meldungen auf, dass es Sie nach der Saison womöglich wieder nach Deutschland oder England zieht. West Ham United oder Fulham gelten als Interessenten.

Es gibt nicht so viele gute Linksverteidiger auf der Welt, deshalb haben viele Vereine dort Bedarf. Ich will im Januar, spätestens aber im Juli, wieder nach Europa wechseln. Aber erstmal, und das ist gerade besonders wichtig, möchte ich den MLS-Cup mit Philadelphia gewinnen. Danach bleibt immer noch genug Zeit, mich mit der Zukunft zu beschäftigen.

Sie sind nach wie vor erst 23. Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?

Im Februar werde ich schon 24, deshalb glaube ich auch, dass ich demnächst wechseln muss. Ich habe hier meine Duftmarke gesetzt und bin bereit für eine der Top-3-Ligen in Europa. Bundesliga, Premier League oder Spanien, meinetwegen. Dort möchte ich Stammspieler sein und vielleicht sogar den Sprung zur Nationalmannschaft schaffen.

2017 hat es der Toronto FC als letztes Team geschafft, sowohl Supporters Shield (meiste Punkte in der Regular Season, d. Red.) als auch den MLS-Cup zu gewinnen. Warum kann Philadelphia das auch schaffen?

Wir haben als erste Mannschaft überhaupt jedes Heimspiel gewonnen und gleichzeitig die Gewissheit, in den Play-offs, egal, wie weit wir kommen, immer zu Hause spielen zu können. Das macht uns natürlich Mut. In Philadelphia sind wir eine Macht, sogar ohne Fans. Wir können das packen.

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