Bundesliga

Saarbrückens 6:1 gegen Bayern: Roland Stegmayer im Interview

Vier-Tore-Mann Stegmayer im Interview

Als Saarbrücken Bayern düpierte: "Nach dem Training gleich wieder die Sektflaschen aufgemacht"

Das 1:0 im Ludwigspark: Roland Stegmayer trifft per Fallrückzieher und ließ noch drei weitere Tore folgen.

Das 1:0 im Ludwigspark: Roland Stegmayer trifft per Fallrückzieher und ließ noch drei weitere Tore folgen. imago sportfotodienst

Der 16. April 1977 bleibt in der Geschichte des 1. FC Saarbrücken unvergessen. Vor 39.000 Zuschauern im ausverkauften Ludwigspark empfing der damalige Aufsteiger am 30. Spieltag den FC Bayern. Doch die hochdekorierte Elf um Franz Beckenbauer, Gerd Müller, Karl-Heinz Rummenigge und Co. erlebte im Saarland ein wahres Debakel und ging mit 1:6 unter.

Herr Stegmayer, wie viele Nächte wird der damalige Nationaltorhüter Sepp Maier von Ihnen geträumt haben?

Bestimmt einige. (lacht) Aber das würde er sicher nicht zugeben.

Lassen Sie uns die Partie Revue passieren: Der 1. FCS befand sich vor dem Spiel auf einem Abstiegsplatz, verlor zudem in der Hinrunde in München mit 1:5. Wie konnten Sie den amtierenden Europapokalsieger der Landesmeister gleich mit 6:1 besiegen?

Das weiß ich auch nicht so genau. Es hat an diesem Tag einfach alles gepasst, von der ganzen Mannschaft her. Die Leute haben im Vorfeld sowieso alle mit einer Niederlage von uns gerechnet. Die Frage war eigentlich nur, wie hoch wir verlieren werden. Und dann haben wir so ein Spiel hingelegt, das war sicher einmalig. Und es hätte ja sogar noch höher ausgehen können: Einmal habe ich noch den Pfosten getroffen, Maier zudem mehrfach stark pariert.

Ich stand mit dem Rücken zum Tor und habe den Ball gar nicht ins Tor fliegen sehen. Als ich wieder aufstehen wollte, war das ganze Stadion am Jubeln.

Roland Stegmayer

Und dennoch sind Ihnen gleich vier Treffer gelungen.

Aber das war ja nicht nur mein Verdienst, vier Tore machst du nicht im Alleingang. Die ganze Mannschaft hat an dem Tag überragend gespielt und mir die Bälle perfekt aufgelegt. Ich habe halt abgezogen und der Ball war drin. Ein bisschen Glück gehört ja auch dazu.

Bundesliga 1976/77, 30. Spieltag

Das klingt so bescheiden. Dabei gelang Ihnen der 1:0-Führungstreffer sogar per Fallrückzieher in den Winkel.

Stimmt. Ich stand mit dem Rücken zum Tor und habe den Ball gar nicht ins Tor fliegen sehen. Als ich wieder aufstehen wollte, war das ganze Stadion am Jubeln. Die Stimmung im Ludwigspark war ohnehin immer traumhaft. Dieser Tag war aber noch mal etwas ganz Besonderes. Der FC Bayern ist halt der FC Bayern.

Mit vier Treffern gegen den Rekordmeister wäre Ihnen heute die Aufmerksamkeit von ganz Fußball-Deutschland gewiss. Wie war das damals?

Der Rummel war bei Weitem nicht so groß. Vereinzelt haben Fans nach dem Spiel für ein Autogramm am Bus auf uns gewartet, oder auch mal Journalisten. Aber das ist alles nicht mit der heutigen Zeit zu vergleichen. Heute ist das Spiel gefühlt ja noch nicht vorbei, da stehen schon drei Kameras auf dem Feld. In Saarbrücken konnten wir auch noch in die Stadt gehen, ohne dass einen jeder erkannt hat.

Nein zum Sportstudio: "Ein Fehler ..."

 Nach der Partie hatten Sie aber eine Einladung ins ZDF-Sportstudio, die sie ablehnten. Wie ist das abgelaufen?

Gleich nach dem Spiel kamen die Herren vom ZDF in die Kabine und meinten, ich solle mich umziehen und mitkommen, wir würden gleich ins Studio fahren. Da habe ich Nein gesagt. Mein Gedanke war folgender: Drei Wochen zuvor hatte ich gegen den 1. FC Köln, der in den 70er Jahren auch ein Spitzenteam war, gegen Toni Schumacher drei Tore geschossen. Da hatte sich aber niemand für mich interessiert … Heute weiß ich, dass es ein Fehler war, ich müsste nicht noch mal überlegen. (lacht)

Umso ausgelassener konnten Sie dafür dann aber doch den Erfolg mit den Kollegen feiern …

Und das haben wir auch getan (lacht). Das Problem war aber, dass wir bis morgens unterwegs waren und um 10 Uhr schon wieder zum Training antanzen mussten. Als wir kamen, hat Manni Kraft (FCS-Trainer; Anm. d. R.) alleine auf dem Platz gestanden. Doch er war gnädig zu uns, wir haben nur einige Läufe zum Auslaufen gemacht und uns dann ins Warmwasserbecken gelegt, wo wir gleich wieder die Sektflaschen aufgemacht haben. Das war eben noch eine andere Zeit. Es war in dieser Schlussphase der Saison der vierte Sieg in Folge für uns. Nur so konnten wir am Ende überhaupt den Klassenverbleib feiern. Auch wenn wir eine Woche später in Karlsruhe erst mal mit 0:3 verloren haben.

Das Schöne ist, dass in Saarbrücken auch heute noch darüber gesprochen wird und ich nicht in Vergessenheit geraten bin. Die vier Tore nimmt mir niemand mehr.

Roland Stegmayer

Im Jahr darauf lief es dann nicht mehr so gut. In München revanchierte sich der FC Bayern mit einem 7:1. Und Saarbrücken stieg am Ende wieder ab.

Gegen München war wirklich immer etwas los. Entweder haben wir eine Packung bekommen oder es gab eine Überraschung. Denn das Heimspiel hatten wir auch in der darauffolgenden Saison mit 2:1 gewonnen. Das Schöne ist, dass in Saarbrücken auch heute noch darüber gesprochen wird und ich nicht in Vergessenheit geraten bin. Die vier Tore nimmt mir niemand mehr. Es war einfach eine sehr schöne Zeit. Es gibt nichts Besseres, als im jungen Alter Profi gewesen zu sein.

Mit dem teils luxuriösen Leben heutiger Bundesligaspieler war es aber noch nicht zu vergleichen.

Das stimmt. Manches hätte ich auch damals schon gerne genommen. Zu Auswärtsspielen sind wir immer mit einem gemieteten Reisebus gefahren, das hat oftmals mehr als zehn Stunden gedauert. Heute hat ja jeder Drittligist einen eigenen Bus und fliegt zum Teil zu den Spielen.

Nach dem Abstieg musste Saarbrücken Sie aus wirtschaftlichen Gründen verkaufen. Sie gingen zu Fortuna Köln - ebenfalls in die 2. Liga. Gab es denn kein Angebot aus der Bundesliga?

Die Fortuna hat damals viel in die Mannschaft investiert. Doch im November standen wir auf einem Abstiegsplatz - die Aufholjagd kam dann zu spät. Aber ja, ich hätte wohl in der Bundesliga bleiben können. Diese Entscheidung war wohl der größte Fehler in meiner Karriere.

Erzählen Sie mehr.

Als wir in der Hinrunde 1977 mit 2:1 gegen Schalke 04 gewonnen haben, habe ich ein sehr gutes Spiel gemacht. Friedel Rausch war damals Trainer bei Schalke und meinte nach dem Spiel: So wie der Stegmayer den Bernd Thiele vorgeführt hat, das habe ich noch nicht gesehen. Weil wohl auch Klaus Fischer meinte, er könne einen Außenstürmer wie mich, der die Vorlagen gibt, gut gebrauchen, kam einige Wochen später der Anruf aus Schalke. Doch auf dem Weg zum Gespräch nach Gelsenkirchen bin ich auf der Fahrt wieder umgedreht und habe abgesagt. Es hatte mir damals in Saarbrücken gut gefallen. Hätte ich gewusst, wie es ein halbes Jahr später aussieht, hätte ich sicher anders entschieden. In Schalke haben sie danach gesagt: Den Namen Stegmayer wollen wir nicht mehr hören. Was wohl verständlich war.

Das Interview erschien erstmals am 16. April 2020 in der Printausgabe des kicker

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