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SG im kicker-Check: Mehr als ein Geheimfavorit!

Flensburg geht als Titelanwärter ins Meisterrennen

SG im kicker-Check: Mehr als ein Geheimfavorit!

Wollen in der Saison 2015/16 erst so richtig durchstarten: Trainer Ljubomir Vranjes und die SG Flensburg-Handewitt.

Wollen in der Saison 2015/16 erst so richtig durchstarten: Trainer Ljubomir Vranjes und die SG Flensburg-Handewitt. imago

Schmäschke: "Unter schwersten Bedingungen tolle Erfolge gefeiert"

Die Personalsorgen bei Flensburg-Handewitt nahmen in der abgelaufenen Saison ungeahnte Dimensionen an: Als am letzten Spieltag der Champions-League-Gruppenphase Ende Februar der Vergleich gegen Wisla Plock wartete, stand Co-Trainer Maik Machulla (zwei Treffer) plötzlich wieder auf der Platte (29:31). Weil insgesamt acht Spieler fehlten, war selbst ein Einsatz von Cheftrainer Vranjes im Vorfeld nicht ausgeschlossen worden. Trotz aller Widrigkeiten sprangen am Saisonende beachtliche Resultate heraus: "Die Belastung für die Mannschaft war in der letzten Serie enorm, sie hat unter schwersten Bedingungen tolle Erfolge gefeiert", so Geschäftsführer Dierk Schmäschke: "Sie hat erneut die CL-Qualifikation geschafft und mit einer Harakiri-Abwehr den DHB-Pokal gewonnen."

Jetzt soll für "Ljubos Krieger" alles anders – und noch besser – werden. Einen ersten Vorgeschmack gab die SG am Mittwoch im Supercup in Stuttgart gegen den Erzrivalen THW Kiel, verlor erst in der Schlusssequenz durch ein Weinhold-Tor mit eins, zeigte jedoch eine starke Leistung.

Die Rahmenbedingungen der SG stimmen: Der Spieleretat wurde von sechs auf 6,5 Millionen Euro gesteigert, dazu laut Schmäschke "98 Prozent der Partnerschaften verlängert oder gar verbessert". Die Euphorie an der Förde ist längst neu entfacht! Der Nord-Kracher gegen Kiel (6. September) war nach nur sieben Stunden nahezu ausverkauft, darüber hinaus wurden bereits 2350 Dauerkarten für die Königsklasse und weitere 4800 für die Bundesliga abgesetzt. "Wir werden auch noch die 5000er Marke kratzen", ist sich Schmäschke sicher.

Vranjes: "Ich halte nicht so viel davon, große Ziele zu verkünden"

Es ist also alles angerichtet für eine große Saison – oder nicht? "Ich halte nicht so viel davon, große Ziele zu verkünden, um dann nach einer großen Verletzungsmisere eine ganz andere Situation vorzufinden", hat Vranjes aus den Vorjahren seine Lehren gezogen. Um dem Verletzungsrisiko bestmöglich vorzubeugen, quält der Welttrainer von 2014 seine Schützlinge bereits seit dem 13. Juli. Ein Umstand, über den Rückkehrer Petar Djordjic nur allzu gut Bescheid wusste: "Ich wollte unbedingt zurück zur SG, zur Mannschaft und zum Trainer. Nur die Vorbereitung habe ich nicht vermisst." Gleiches galt für Neuzugang Kentin Mahé. "Es ist im Moment wirklich verdammt hart. Aber davon hatte ich im Grunde vorher gehört."

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Die Kraft brauchen die Flensburger schließlich für das Meisterrennen, die Titelverteidigung im Pokal – und speziell die Königsklasse. Der neue CL-Modus bringt noch größere Belastungen mit sich: Gespielt wird in zwei Achtergruppen, sowie einer "zweiten Liga", die aus zwei Sechsergruppen besteht. Die Gewinner aus Gruppe A und B stehen direkt im Viertelfinale, Rang zwei bis sechs sowie die beiden Sieger aus Gruppe C und D qualifizieren sich fürs Achtelfinale. Dabei ist die Chance auf den großen Vorteil des Gruppensiegers äußerst gering, immerhin warten mit Topfavorit Paris St. Germain, dem Vorjahreszweiten MKB Veszprem und dem THW Kiel alleine drei echte Hochkaräter. Zumindest die SG-Anhänger wird’s freuen: "Unsere Fans können sich auf sieben Hammer-Heimspiele freuen", erklärte Schmäschke nach der Auslosung.

Viererpack: Mahé & Co. bringen Qualitätsschub

Um wenigstens ins Achtelfinale vorzudringen, lotsten die sportlichen Verantwortlichen im Sommer vier Hochkaräter an die Förde. Am Kreis soll Henrik Toft Hansen, Bruder von Kiels René, für frischen Wind sorgen. Der Wechsel aus Hamburg nach Flensburg kam dem 28-Jährigen in doppelter Hinsicht gelegen: "Ich kann nun in Fast-Dänemark auf höchstem Niveau spielen. Von Handewitt sind es nur fünf Minuten über die Grenze." Nicht nur die Nähe zur Heimat, sondern auch die sportliche Plattform stimmt. "Auf den nächsten Sommerurlaub werde ich gerne verzichten. Ich möchte unbedingt nach Rio", schielt Toft Hansen auf die olympischen Sommerspiele 2016 in Brasilien.

Flensburger Qualitätssprung: Die Neuzugänge Toft Hansen, Lauge, Djordjic und Mahé (v.li.n.re.).

Flensburger Qualitätssprung: Die Neuzugänge Toft Hansen, Lauge, Djordjic und Mahé (v.li.n.re.). Flensburg-Handewitt

Einen Schritt weiter ist da schon der nächste Neuzugang vom HSV Hamburg, der Franzose Mahé. Der erst 24-Jährige feierte mit seinem Nationalteam bereits große Erfolge, mitunter den WM-Titel 2015 in Katar. Der Mittelmann, der auch problemlos auf Linksaußen aushelfen kann, galt in der Hansestadt als "unverkäuflich" und enorm wertvoll. Von Wert wird der Rechtshänder nun auch für die SG sein: "Die Mannschaft wirkt sehr homogen und von Trainer Vranjes kann ich sicherlich noch viel lernen. Und was ganz wichtig ist: Hier kann ich Titel gewinnen."

Mit diesem Anspruch kommt auch Sommer-Transfer Rasmus Lauge vom Rivalen aus Kiel. "Mir gefiel die Konstellation mit vielen beweglichen Spielern und Ljubomir Vranjes als Trainer", so Lauge, der wie die Kollegen speziell den Cheftrainer als ausschlaggebenden Punkt nannte. Der 24-Jährige kann sowohl im linken Rückraum als auch auf der Mitte eingesetzt werden – und galt in seiner dänischen Heimat trotz seiner Verletzungsanfälligkeit als eines der größten Talente.

Dieser Nimbus umgab auch Petar Djordjic in Serbien, während seinen ersten drei Jahren in Flensburg (2010-13). Nach seinem unglücklichen Gastspiel beim HSV Hamburg, wo der 1,97-Meter-Hüne auch wegen Verletzungsproblemen nie wirklich ankam, ist der wurfgewaltige Rechtshänder heiß auf die "alte Liebe". Auch für ihn ist Vranjes das unersetzliche Zugpferd der SG: "Mit den grundsätzlichen Strukturen beschäftigt er sich, ich muss nur darauf achten, 100 Prozent zu geben."

Kader: Spitzentrio und fulminante Flügelzange

Geht für die SG durch dick und dünn: die Dänen-Connection um Anders Eggert, Lasse Svan und Thomas Mogensen (v.li.n.re.).

Geht für die SG durch dick und dünn: die Dänen-Connection um Anders Eggert, Lasse Svan und Thomas Mogensen (v.li.n.re.). Getty Images

Für den Rest soll also Vranjes sorgen, der sich über den "stärksten Kader seitdem ich hier bin" freut. Und damit dürfte der 41-Jährige recht haben: Im Tor haben die Flensburger mit Mattias Andersson einen Spieler von Weltklasse-Format, dazu kommt Kevin Moller, der in der Vorbereitung angedeutet hat, dass der 2,00-Meter-Mann der Andersson-Stellvertreter sein kann, der den Flensburgern im vergangenen Jahr fehlte.

Auf Linksaußen ist die SG mit Tormaschine Anders Eggert, der auch vom Siebenmeterpunkt eine echte Bank ist, und dem frechen Hampus Wanne bestens aufgestellt. Gleiches gilt für die andere Seite: Lasse Svan gehört zur Weltelite auf Rechtsaußen, Bogdan Radivojevic ist ein grundsolider Ersatzmann.

Im Rückraum hat Vranjes auf Halblinks und der Mitteposition die Qual der Wahl. "Wir haben vier Spieler auf der Mitte und sogar fünf, die halblinks agieren können. Ich bin mir sicher, dass wir gegen offensiv orientierte Deckungen sehr gut eingestellt sein werden", so ein selbstbewusster Lauge. Hinter den starken Jim Gottfridsson und Thomas Mogensen haben Jungspund Michael Nicolaisen und Neuzugang Djordjic auf der halblinken "Königsposition" genug Zeit, um sich zu akklimatisieren.

Wir haben vier Spieler auf der Mitte und sogar fünf, die halblinks agieren können.

Rasmus Lauge lobt die große Breite im Rückraum

Auf der Mitte hat Vranjes das wohl beste Trio der HBL zur Verfügung: Mogensen spielt seit Jahren auf Top-Niveau, Mahé zählt zu den ganz großen Entdeckungen auf dieser Position und Lauge deutete im Spiel um Platz 3 beim CL-Final-Four mit Kiel Ende Mai wieder an, wohin es für ihn gehen kann. Ein wenig mehr Sorgen macht da schon die Position im rechten Rückraum: Holger Glandorf ist nach seinem Achillessehnenriss zwar wieder voll genesen, wird aber sicherlich erst Spielpraxis brauchen, um wieder auf Topniveau zu kommen. Dessen Vertreter Johan Jakobsson deutete in einzelnen Spielen immer wieder seine Qualitäten an, dem 28-jährigen Schweden fehlt aber (noch) die Konstanz.

Vorteil: Verschworener Haufen

Am Kreis schafft Toft Hansen Abhilfe, weil SG-Urgestein Jacob Heinl (seit 1994 im Verein) wegen Rückenbeschwerden, die durch eine Entzündung des Iliosakralgelenks hervorgerufen werden, noch länger braucht (Schmäschke: "Wir geben ihm alle Zeit der Welt"). Dazu bringt der Däne Qualität mit und kurbelt zusätzlich den Konkurrenzkampf mit Anders Zachariassen an. Nach Rückenproblemen wieder voll einsatzbereit ist Tobias Karlsson, der Rückkehrer und Abwehrchef ist speziell für Deckung und Mannschaft von enormer Bedeutung.

Der große Flensburger Vorteil ist, dass sie über ein über Jahre gewachsenes Gerüst verfügen: Andersson, Mogensen, Karlsson, Svan und Eggert harmonieren perfekt. Dazu kommen Spieler wie Gottfridsson, die da auch immer mehr hineinwachsen. Und nicht zu vergessen die drei Top-Zugänge im Rückraum, die die Abgänge von Drasko Nenadic (HSV Hamburg) und Lars Kaufmann (Frisch Auf Göppingen) mehr als qualitativ auffangen können. Eines steht fest: Mit der SG Flensburg-Handewitt darf und wird in diesem Jahr zu rechnen sein!

msc

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