Bundesliga

Schiedsrichter-Report, Teil 2: Die Brennpunkte der Schiris

Die Brennpunkte der Bundesliga-Referees unter der Lupe

Schiedsrichter-Report, Teil 2: Fehlt die internationale Klasse?

Hatte alle Hände voll zu tun: Deutschlands WM-Schiedsrichter Daniel Siebert.

Hatte alle Hände voll zu tun: Deutschlands WM-Schiedsrichter Daniel Siebert. IMAGO/Agencia MexSport

Auch die erste Hälfte der diesjährigen Bundesligasaison verlief alles andere als reibungslos für die Schiedsrichter in Deutschlands Profi-Ligen. Der aktuelle Bundesliga-Notenschnitt von 3,06 liegt nur knapp unter dem der vorigen Saison (3,08), der mit Abstand schlechtesten seit VAR-Einführung 2017.

Die unzureichende Anwendung der Video-Hilfe bleibt ein Hauptärgernis. Aber die Probleme liegen tiefer, haben teilweise grundsätzlichen, strukturellen Charakter. Es geht um schlechte Kommunikation, unklare Leitlinien, das Leistungsprinzip bei der Einsatzverteilung und den richterlichen Vorwurf der Intransparenz beim Auf- und Abstieg.

Der erste Teil des großen Schiedsrichter-Reports hat sich bereits mit dem VAR-Theater, der mangelnden Fußballkompetenz und der zum Teil fehlenden Kommunikation beschäftigt, Teil zwei analysiert nun weitere wichtige Teilbereiche des Schiedsrichter-Wesens. 

Brennpunkt Leistungsprinzip

Ein heißes Thema bleibt die Einsatzverteilung. So waren die 18 Bundesliga-Einsätze des zweimaligen Weltschiedsrichters Felix Brych 2021/22 der Höchstwert. Dafür wurde der Münchner Jurist siebenmal in der 2. Liga eingesetzt. Beim aktuellen deutschen WM-Schiedsrichter Daniel Siebert war die Verteilung (16/6) ähnlich, er pfiff noch ein Drittligaspiel. Was spricht gegen 25 Erstliga-Einsätze pro Saison für Spitzenkräfte, womit sich die Chance auf stabile Spielleitungen erhöhen würde?

Die Antwort von Lutz Michael Fröhlich, Geschäftsführer Sport und Kommunikation der DFB Schiri GmbH: "Es gibt eine Reihe von leistungsstarken und anerkannten Schiedsrichtern und zusätzlich auch einige Schiedsrichter, die auf einem guten Weg sind, sich auf dieses Niveau hin zu entwickeln. Das sind deutlich mehr Schiedsrichter als Einsätze, die an einem Spieltag in der Bundesliga zu vergeben sind." Vor allem Gräfe hat immer wieder kritisiert, das Leistungsprinzip finde zu wenig Anwendung. "Die Anzahl der Spiele richtet sich nach der Leistung in der aktuellen Saison", kontert Fröhlich, verweist auf Einschränkungen bei der Verfügbarkeit durch internationale Einsätze, Krankheit, Verletzungen und Freitermine.

Auch in einer Mannschaft gibt es Stamm- und Ergänzungsspieler. Die Top-Leute müssen mehr gefordert sein

Schiedsrichter-Experte Urs Meier im kicker-Interview

Damit lenkt er jedoch vom Thema ab. Kein Schiri fordert 30 Einsätze, aber sehr wohl, dass die Schere weiter auseinander gehen müsse. Elf Einsätze war die niedrigste Zahl derjenigen Referees, die 21/22 nicht verletzungsbedingt eingeschränkt waren. "Auch in einer Mannschaft gibt es Stamm- und Ergänzungsspieler. Die Top-Leute müssen mehr gefordert sein", sagt Experte Meier und stellt die Frage, ob der 24er-Bundesliga-Kader zu groß ist.

Der bei Fans wie Protagonisten beliebte und anerkannte Aytekin (15/9/1) verteidigt jedoch die Ansetzungen. "Mit der Praxis, dass ich in der Regel alle zwei Wochen in der Bundesliga pfeife und dazwischen in der 2. Liga und bei besonderen Spielen auch mal in der 3. Liga, habe ich kein Problem. Im Gegenteil, die Spiele in den anderen Ligen bereiten mir auch große Freude", sagt der 44-Jährige: "In meiner Anfangszeit habe ich etwas gebraucht, um über Spielpraxis in der Bundesliga mehr Akzeptanz zu erlangen und mich weiterentwickeln zu können. Deshalb befürworte ich es, dass auch die jüngeren oder neuen Kollegen regelmäßig ihre Einsätze bekommen. Es ist nicht einfach, bei den Ansetzungen jedem gerecht zu werden."

Brennpunkt Auf- und Abstiegsprozess

Am 16. November 2022 formulierte der Vorsitzende Richter Dr. Wilhelm Wolf am Landgericht Frankfurt am Main im Rahmen der verhandelten Klage von Gräfe gegen den DFB wegen Altersdiskrimierung einen bemerkenswerten Satz. Mit Blick auf die Honorare bemängelte Wolf den Vorgang, wie Schiedsrichter in den Bundesligakader aufgenommen werden: "Wenn so erkleckliche Aufträge vergeben werden, kann man eigentlich erwarten, dass minutiös festgelegt ist, wie es passiert. Derzeit ist es vollkommen intransparent."

Stegemann und Zwayer die Top-Verdiener: Die Schiedsrichter-Honorare 2022/23

Fröhlich will sich zu diesem Vorwurf mit Verweis auf das schwebende Verfahren, bei dem am 18. Januar ein Urteil erwartet wird, nicht äußern. Zum aktuellen Ablauf aber: "Die Sportlichen Leiter für die Ligen - Peter Sippel für die Bundesliga, Rainer Werthmann für die 2. Liga und Florian Meyer für die 3. Liga - bereiten die Kaderplanung für die Ligen vor und besprechen diese mit der Geschäftsführung der DFB Schiri GmbH. Das Ergebnis ist eine Kaderliste, die dann der Gesellschafterversammlung der DFB Schiri GmbH vorgelegt wird." Die Gesellschafter sind der DFB (51 Prozent) und die DFL (49). Die Kaderplanung basiere auf den Leistungsbewertungen der laufenden Saison und "einer Bewertung der Leistungsentwicklung, in Abgleich mit den anderen Schiedsrichtern der Spielklasse".

Die Hauptkritik: Die Bewertungen sind nur für die Chefs, Coaches und die betroffenen Schiris einsehbar. "Da braucht es mehr Transparenz, vor allem auch für die Kollegen, damit die besser nachvollziehen können, wer etwa aus welchen Gründen aufsteigt", findet Urs Meier. Ein Ansatz: Nach der Saison könnten die Bewertungen veröffentlicht werden, wenigstens im gesamten Kader, damit ein Abgleich möglich ist. Bemerkenswert: Vor Jahren wurden die klassischen Noten abgeschafft, da der Notendruck angeblich hinderlich war. Doch das Online-Bewertungssystem mit vielen farbigen Kategorien sorgte auch nicht für Zufriedenheit, steht vor der Ablösung. Was darauf folgt? Offen.

Brennpunkt FIFA-Liste

Brych und Aytekin haben zuletzt aus deutscher Sicht eine Qualitätslücke auf der FIFA-Liste hinterlassen. Siebert (38) zeigte ein hoffnungsvolles WM-Debüt mit zwei Einsätzen - darunter die Leitung des brisanten Gruppenspiels Uruguay gegen Ghana - muss sich als Brych-Nachfolger und neue Nummer eins international aber noch ein Top-Standing erarbeiten. Dass er 2021 überraschend an Felix Zwayer und Tobias Stieler vorbei zum EM-Teilnehmer befördert wurde, sagt auch etwas über den Stellenwert des Duos aus, das außer Siebert noch in der Champions League pfeift.

Neben diesen drei Mitgliedern der internationalen Elite-Class wurden zuletzt in Sascha Stegemann und Harm Osmers zwei Referees in die zweithöchste First-Class aufgenommen, die in der Bundesliga zuletzt allerdings eher nicht positiv herausragten. Hoffnungsträger sind vor allem Sven Jablonski (32), der 2021/22 das kicker-Notenranking der Bundesliga-Spiele mit einem Schnitt von 2,53 anführte und aktuell ähnlich gut liegt (2,5), sowie Daniel Schlager (32), der sich nach einer schwächeren vorigen Saison (3,34) ebenfalls gut präsentiert (2,5). Beide sind aber erst seit Januar auf der FIFA-Liste und hatten ihre ersten internationalen Einsätze. Für das Jahr 2023 wurde Robert Schröder (37; 2,79) als Aytekin-Nachfolger gemeldet. Bastian Dankert und Christian Dingert, die international vorwiegend als VAR eingesetzt werden, komplettieren das deutsche 10er Feld auf der FIFA-Liste.

Lesen Sie zum Thema außerdem das kicker-Interview mit Schiedsrichter-Experte Urs Meier, der unter anderem seine Idee verrät, wie die deutschen Schiedsrichter mehr Fußballkompetenz erlangen könnten.

Carsten Schröter-Lorenz

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Ungerecht, undurchsichtig, am Ende? Ist der VAR noch zu retten, Herr Dr. Drees?

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