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Geduld und Vorfreude in Moskau: "Darauf habe ich ein Leben lang gewartet"

Unterwegs in Russland - Geduld und Vorfreude in Moskau

"Darauf habe ich ein Leben lang gewartet"

Die Welt zu Gast: Volunteers und Freiwillige helfen in der Hauptstadt mit wichtigen Informationen.

Die Welt zu Gast: Volunteers und Freiwillige helfen in der Hauptstadt mit wichtigen Informationen. kicker

In Russland unterwegs: Jörg Jakob (kicker-Chefredaktion)

Man erkennt das an den zwischenzeitlich eingerichteten Ständen der Volunteers an den Metro-Eingängen und an den freundlichen Freiwilligen mit ihren roten Käppis an den Bahnsteigen, die mitunter auch ungefragt auf den suchenden Blick von Fremden reagieren. Informationsmaterial über das Verkehrsnetz? Kommt schon noch. Der menschliche Ratschlag ist doch ohnehin verbindlicher. Auch der von Zivilisten, also nicht im FIFA-Freizeit-Dienst tätigen, spontanen Menschen wie Natascha und Irina, die bei der schließlich erfolgreichen Suche nach der Unterkunft eine geradezu existenzielle Übersetzungshilfe leisten und nebenbei vor der verbreiteten Abzocke im Taxigewerbe warnen. Das "offizielle" Erscheinungsbild von Autos und Fahrern kann täuschen. Die Moskauer Stadtverwaltung empfiehlt ausdrücklich die gelben Wagen. Preis? Immer vorm Einsteigen klarmachen.

Ronaldo, Pogba, Neymar - nur die Russen hoffen auf ein Wunder

Nach dem beweglichen Feiertag am Montag und dem nationalen Tag der Unabhängigkeit am Dienstag wird das Straßenbild nun mehr und mehr von ausländischen Besuchern geprägt, wie der schon unübersehbaren, farbenfrohen Gruppe iranischer Fans, womit World-Cup-Atmosphäre automatisch aufkommen dürfte. Auch die richtige, gute Stimmung unter den Einheimischen? Viel hängt ab vom Eröffnungsspiel der zuletzt wenig berauschenden "Sbornaja" gegen Saudi-Arabien am Donnerstag im Luschniki-Stadion ab. Die Zeitung "Moskowski Komsomolez" hat die Erwartungshaltung aus sportlicher Sicht mit Humor beschrieben: "Portugal hofft auf Ronaldo, Frankreich auf Pogba und Brasilien auf Neymar. Nur wir hoffen auf ein Wunder."

Riesenreich will sich als moderne Nation präsentieren

Vor dem Luschniki werden noch Abfalleimer im Asphalt verschraubt, die letzten Fassaden gestrichen. Die großen, "FIFA-gebrandeten" Wegweiser hängen längst. Ab einem bestimmten Zeitpunkt wirkt das unmittelbare Umfeld von WM-Arenen uniformiert. Da ist die russische Hauptstadt nicht anders als Rio, Kapstadt, Yokohama, Kaiserslautern. Die Bürgermeister und Gouverneure der Austragungsorte haben Vollzug gemeldet, die elf Spielstädte sind herausgeputzt. Ganz nach dem Wunsch von Wladimir Putin. Sein Land werde alles tun, versprach der Präsident, "damit es ein Fest für Millionen Fußballfans auf der ganzen Welt wird". Ihnen und den Kritikern seiner Politik soll sich das Riesenreich als aufstrebende, moderne Nation präsentieren.

"Auf geht's Deutschland, schieß ein Tor"

Die DFB-Elf tritt am Sonntag am Ufer der Moskwa zu ihrem Auftaktspiel gegen Mexiko an. Start und Ziel liegen damit in Moskau, das - rein zufällig natürlich - in den ersten 36 Stunden nach der Landung erstaunliche deutsche Momentaufnahmen zu bieten hatte. Am größten Flughafen, Scheremetjewo, grüßen nur wenige Schritte hinter der Passkontrolle eine Beamtin der Bundespolizei und ihr Kollege lächelnd vom extra eingerichteten Außenstellenschreibtisch, am Luschniki - die Internationalisierung trägt Früchte - laufen Fans aus Asien im BVB-Trikot herum, und im Akkreditierungszentrum zeigt FIFA-TV doch tatsächlich Paul Breitners Fernschusstor von 1974 gegen Chile. Damit nicht genug: Im Café darunter trällert ein Schlagerstimmchen aus den Boxen: "Auf geht's Deutschland, schieß ein Tor". Unglaublich, aber wahr.

Riesige Vorfreude bei Alexander

Historisches Buch: kicker-Herausgeber Karl-Heinz Heimann und Walerij Lobanowskyj diskutieren über Fußball.

Historisches Buch: kicker-Herausgeber Karl-Heinz Heimann und Walerij Lobanowskyj diskutieren über Fußball. kicker

Deutsch-russische Beziehungen anderer Natur pflegt Alexander, Freund und Helfer der kicker-Reporter in den nächsten vier Wochen. Zu Begrüßung hat er ein liebgewonnenes Buch mitgebracht, das auch die besondere Verbundenheit dokumentiert, die der frühere kicker-Herausgeber Karl-Heinz Heimann und der große Trainer Walerij Lobanowskyj pflegten. Alexander ist 55 Jahre alt, seine riesige Vorfreude auf die WM in Russland drückt er strahlend aus: "Darauf habe ich ein Leben lang gewartet."

Wissenswertes zu den elf WM-Städten