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Umbruch in die Depression

Die Krise des FC Arsenal

Umbruch in die Depression

Die vorprogrammierte Ernüchterung: Robin van Persie, letzter Superstar im Arsenal-Trikot, beim 0:4 in Mailand.

Die vorprogrammierte Ernüchterung: Robin van Persie, letzter Superstar im Arsenal-Trikot, beim 0:4 in Mailand. imago

Der "Guardian" sprach von einer "wütenden Schimpftirade" gegenüber den eigenen Schützlingen und meinte tatsächlich Arsène Wenger: Der Arsenal-Coach, der sein Team schon nach der Blamage in San Siro ungewohnt offen kritisiert hatte, soll am Tag danach vor dem Training hinter verschlossenen Türen entgegen seiner Gepflogenheiten eine regelrechte Brandrede vorgetragen haben.

"Wir haben die Qualität, um Titel zu gewinnen" - auch Wenger dürfte sich im Klaren darüber sein, dass er falsch lag mit dieser Einschätzung vor Saisonbeginn, kundgetan in einem offenen Brief an die ungeduldige Fangemeinde. Den FA Cup, den letzten Pokal, den Arsenal in dieser Saison noch einfahren könnte ( Achtelfinale am Samstag in Sunderland ), hatte er damals sicherlich nicht gemeint.

Premier League - Tabelle
Pl. Verein Punkte
1
Manchester City Manchester City
60
2
Manchester United Manchester United
58
3
Tottenham Hotspur Tottenham Hotspur
53
Trainersteckbrief Wenger
Wenger

Wenger Arsene

FC Arsenal - Vereinsdaten
FC Arsenal

Gründungsdatum

01.05.1886

Vereinsfarben

Rot-Weiß

mehr Infos
FC Arsenal - Die letzten Spiele
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2
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1
Manchester United ManUnited (A)
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1

Mailand - "eine Nacht, die wir niemals vergessen werden"

Am Mittwoch zerbrach in Mailand vor allem die Utopie, dass man immer noch mithalten kann unter den ganz Großen Europas; vielleicht aber noch mehr: Die Ära Arsène Wenger, die 1996 begann und in ihrer Hochphase drei Meistertitel und bewundernswerten Fußball hervorbrachte, droht in Depression auszuklingen. Zuletzt gab es Spekulationen, der Elsässer könnte nach der EM 2012 französischer Nationaltrainer werden - auch wenn er selbst vor Jahreswechsel den Abschiedsgerüchten entgegnet hatte: "Ich habe noch ein paar Jahre vor mir, ich identifiziere mich total mit dem Verein. Und ich werde Ihnen das am Ende der Saison zeigen."

Es war schockierend zu sehen, wie wir in allen Bereichen geschlagen wurden.

Arsène Wenger nach dem 0:4 beim AC Mailand

Das kollektive Versagen in Mailand aber ist auch an Wenger nicht spurlos vorübergegangen. "Das war bei weitem unsere schlimmste Nacht im Europapokal", bilanzierte er schonungslos. "Es war schockierend zu sehen, wie wir in allen Bereichen geschlagen wurden. Es gab in 90 Minuten nicht einen Moment, in dem wir wirklich im Spiel waren. Der Rasen war eine Katastrophe, aber unsere Leistung bewegte sich auf dem gleichen Niveau." Eine Nacht zum Vergessen also - "die wir niemals vergessen werden".

Mehr oder wenig Hoffnung schüren im Herbst gefolgt von tiefer Ernüchterung im neuen Jahr, das dürfte den Arsenal-Fans bekannt vorkommen. Seit 2005 waren in der Premier League immer mindestens zwei Teams besser platziert, seit 2006 sprang als Maximum in der Champions League eine Halbfinalteilnahme heraus. Der letzte Titel, ein FA Cup, liegt fast sieben Jahre zurück.

Wenger entwickelt Spieler, die dann das Weite suchen

Unglückliche Umstände sehen anders aus, und zufällig ist an dieser Misere in der Tat wenig: Seit Jahren verfolgt Wenger eisern sein Konzept mit seiner Schar an entwicklungsfähigen Youngsters, nur dass diese Spieler dann, wenn sie Top-Format erreichen, das Weite suchen: Das war bei Cesc Fabregas, Gael Clichy und Samir Nasri im Sommer so, bei Kolo Touré oder Emanuel Adebayor in jüngerer Vergangenheit. Und wird beim letzten Weltklassespieler des Kaders, Robin van Persie, in wenigen Monaten kaum anders sein, womöglich nicht nur dann, wenn Arsenal die CL-Qualifikation verpasst.

Schon Ex-Kapitän Fabregas stellte Wengers Konzept in der Vorsaison offen in Frage - und verabschiedete sich wenige Monate später in der Hoffnung, endlich auch Titel zu gewinnen, nach Barcelona. Das Unheil war vorprogrammiert, nur warum nahm Wenger vorigen Sommer dann nicht einfach Geld in die Hand, um die klaffenden Lücken im Kader zu stopfen?

Arsenals Finanzen sind ein großes Mysterium

Die bedingungslose Liebe zur eigenen Philosophie taugt nur zum Teil als Erklärung, denn Spieler wie Per Mertesacker (27), Mikel Arteta (29) oder Gervinho (24), die für nicht wenig Geld in den letzten Stunden der Transferperiode fast panikartig verpflichtet wurden, passten kaum ins Beuteschema mit Fokus auf junge, hochtalentierte Rohdiamanten. Ob Wenger einfach nicht mehr investieren konnte, wird in England ergebnislos diskutiert: Arsenals Finanzen sind ein großes Mysterium.

Arsène Wenger in Mailand

Der Boden der Tatsachen: Arsène Wenger bei der Demütigung in San Siro. imago

Klar ist nur: Der angedachte Umbruch ist zumindest vorläufig gescheitert. Zu Höhenflügen, die sich auch in Trophäen niederschlagen, wird es mit dem aktuellen Kader nicht reichen, ohne van Persie müsste dieses Team fraglos auch um seinen Big-Four-Status bangen. Quo vadis, Arsenal, heißt es da mal wieder .

Nur der FA Cup ist Arsenal geblieben

Aktuell sind die Gunners Ligavierter, mit Liverpool, Newcastle und Chelsea sitzen ihnen aber drei Verfolger dicht im Nacken. Gegen Tottenham (3.), in Liverpool und gegen Newcastle geht es nach dem FA-Cup-Achtelfinale in der Premier League weiter. Da klingt es bedrohlich, wenn Wenger, nach den Liga-Auswirkungen des Milan-Spiels gefragt, sagt: "Diese Gefahr besteht. Eine so große Enttäuschung wie diese hat Folgen für deine Überzeugung." Noch sei die Saison nicht beendet, erinnert er kämpferisch, doch es erregt fast Mitleid, wenn er das FA-Cup-Spiel in Sunderland unbeirrt als "Big Game" klassifiziert. Der FA Cup ist das letzte, was den Gunners geblieben ist.

Wie lange Wenger seine Fußball-Ideologie noch verfolgt und verfolgen darf, ist seit dem Debakel von Mailand offener denn je. Schon vor dem 0:4 hatte er in weiser Voraussicht philosophiert: "Man kann sagen, dass das Wort Krise im Moment in England sowas wie ein Feuer ist. Es bewegt sich sehr schnell von einem Klub zum nächsten. Es ist wie ein Feuer gepaart mit starkem Wind, man muss also vorsichtig sein, denn es kann schnell zurückkommen. Der Wind kann es schnell zurückwehen."