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Ilkay Gündogan: "Gibt derzeit keinen attraktiveren Ort"

Manchester Citys Mittelfeldantreiber über seine Rolle und seine Zukunft

Gündogan im Interview: "Gibt derzeit keinen attraktiveren Ort"

Er will nun auch mit dem DFB-Team so große Erfolge wie mit ManCity feiern: Ilkay Gündogan.

Er will nun auch mit dem DFB-Team so große Erfolge wie mit ManCity feiern: Ilkay Gündogan. imago images (3)

Gündogan spricht eher leise, reflektiert. Gerne antwortet er in langen Sätzen. Aus Vorsicht vor Corona lief das Interview per Videocall.

Herr Gündogan, in den letzten zwei Länderspielen 2021 erzielten Sie drei Tore. Haben Sie damit für sich ein optimales Statement für das WM-Jahr 2022 abgegeben?

Auch diese Quote zeigt, dass ich mich in der Mannschaft sehr wohlfühle. Diese Treffer hängen aber auch damit zusammen, dass ich jetzt auf einer offensiveren Position aufgestellt werde. Ich fühle mich weiter vorne sehr wohl, dort komme ich immer häufiger in torgefährliche Situationen. Ich habe mich in der vorigen Saison im Klub etwas daran gewöhnt, Tore zu schießen. Und wenn man einmal auf den Geschmack gekommen ist, möchte man weitermachen. Dadurch hat sich mein Anspruch an mich selbst schon ein wenig verschoben.

In welcher Rolle fühlen Sie sich am wohlsten: als halber Sechser, Achter, Zehner oder als falsche Neun?

Aufgrund meiner Erfahrung fühle ich mich im zentralen Mittelfeld auf allen Positionen relativ wohl. Allerdings habe ich gemerkt, dass ich in all den verschiedenen Positionen einen gewissen Rhythmus brauche, weil jede unterschiedliche Anforderungen an mich stellt. Deswegen ist in jedem Fall eine gewisse Eingewöhnungszeit nötig. Das Pendeln von einer zur anderen Position ist nicht immer von Vorteil. Ich war stets dann am besten, wenn ich wusste, dass ich Woche für Woche auf derselben Position spielte, und wenn ich das Anforderungsprofil kannte. Immer wieder eine neue Rolle adaptieren und sich auf unterschiedlichen Positionen neu orientieren zu müssen ist schwierig.

Ist Ihre Vielseitigkeit eher ein Vor- oder Nachteil?

Es ist ein schmaler Grat. Grundsätzlich kann man es als Vorteil sehen, im zentralen Mittelfeld alles spielen zu können. Wenn man aber nicht die nötige Zeit bekommt, wird es kompliziert. Das Umfeld erwartet immer Topleistungen. Das ist manchmal nicht so leicht.

Muss ein Spieler mit Ihrer Vita - seit 2016 bei ManCity - irgendwann seine Rolle klar definieren?

Vielleicht muss ich tatsächlich sagen, wo der beste Platz für mich ist. Aber ich bin nicht der Mensch, der offensiv Forderungen stellt. Ich versuche mich stets einzugliedern. Wenn mein Trainer mich für eine Position benötigt, sage ich nicht: Geht nicht, ich fühle mich an einem anderen Platz gerade so wohl. Denn der Trainer hat ja eine Idee. Manchmal wünschte ich mir schon zu wissen, welche meine Position ist, die ich Woche für Woche spiele. Denn dann weiß ich auch, dass ich Woche für Woche Topleistungen abliefere.

Auch wenn das Personal austauschbar ist heute, gibt es unverzichtbare Kräfte. Sehen Sie sich im DFB-Team als Stammspieler?

Natürlich habe ich den Anspruch an mich selbst, Stammspieler zu sein. Vom Leistungsniveau her bringe ich alles mit, um regelmäßig zu spielen.

Vor ziemlich genau einem Jahr sagten Sie mit Blick auf die EM: Ich will, ich sollte spielen. Sagen Sie heute: Ich muss spielen?

(lacht, überlegt) Wenn ich fit und in Form bin, dann ja. Dann habe ich genügend Selbstbewusstsein zu sagen: Ich muss spielen. Das war auch der Grund dafür, dass ich unbedingt weitermachen wollte in der Nationalmannschaft. Weil ich weiß, dass ich nach wie vor genügend Qualität und die notwendige Erfahrung mitbringe, um zu spielen. Ich bin aber keiner, der direkt schlechte Stimmung verbreitet, wenn ich einmal auf der Bank sitzen muss. Elf Spieler auf dem Platz plus drei auf der Bank reichen nicht mehr.

Aber es gibt die Finalspiele, die großen Partien, die jeder machen will.

Die großen Spiele habe ich bei Manchester City fast immer gespielt. Und wenn ich draußen saß, habe ich die Jungs unterstützt. Ich stelle mein Ego hinten an. Aber wenn ich das Gefühl habe, nicht fair beurteilt zu werden, suche ich das Gespräch mit den Trainern.

Wie definieren Sie Ihren Stellenwert in der Nationalmannschaft zu Beginn des WM-Jahres 2022?

Ich bin einer der Spieler mit der größten Erfahrung …

…?im aktuellen Kader haben Sie die viertmeisten Einsätze?…

… und es hätten viel mehr sein können oder müssen, wenn mich nicht auch Verletzungen zurückgeworfen hätten. 2011 habe ich mein erstes Länderspiel gemacht, bin also mehr als zehn Jahre dabei und habe sehr viel erlebt, in der Nationalmannschaft wie auf Vereinsebene. Entsprechend bin ich mir meiner Verantwortung in der Mannschaft bewusst. Ich möchte mit Leistung vorangehen.

Das heißt konkret?

Sehr gut trainieren, die im Training einstudierten Dinge im Spiel umsetzen und Siege einfahren. Zuletzt hat das sehr gut geklappt.

Deshalb möchte ich es mir bei der anstehenden WM selbst beweisen.

Ilkay Gündogan

Was sagen sieben Siege in sieben Spielen bei 31:2 Toren unter Flick aus?

Wir sind dominant aufgetreten, haben attraktiven Fußball gespielt und viele Tore erzielt. Diesen Stil möchten wir fortsetzen.

In Ihren 54 Länderspielen gehörten Sie 39-mal zur Startelf, 20-mal blieben Sie 90 Minuten auf dem Platz. Sind Sie damit zufrieden?

Grundsätzlich ja. Leider habe ich einiges an Turnieren verpasst. 2012 bei der EM in Polen und in der Ukraine wurde ich als junger Spieler nicht eingesetzt, was für mich kein Drama war. 2014 habe ich die WM verpasst und 2016 die EM. 2018 bei der WM habe ich nur ein Spiel gemacht, was meinen Ansprüchen nicht genügte, aber wir waren ja leider nicht lange im Turnier. Bei der EM im vorigen Jahr habe ich mehrere Partien gespielt, aber wir waren wiederum nicht erfolgreich. Deshalb möchte ich es mir bei der anstehenden WM selbst beweisen.

Wo ordnen Sie sich hierarchisch im DFB-Team ein?

Aufgrund meiner Erfahrung sehe ich mich in einer Führungsrolle. Aber mein maßgebliches Kriterium ist die Leistung. Ich bin kein Typ der großen Worte. Das muss man nicht sein. Ich will es auf dem Platz mit meinem Spiel zeigen.

Mit Hansi Flick kam ein ganz neuer Schwung in die Mannschaft.

Ilkay Gündogan

Müssen Sie Ihre Turniergeschichte noch zu Ende schreiben?

So kann man es formulieren. Mit Hansi Flick kam ein ganz neuer Schwung in die Mannschaft. Hoffentlich können wir ein weiteres erfolgreiches Kapitel schreiben.

Was ist für Sie erfolgreich? Manuel Neuer spricht vom Titel als Ziel.

Ich messe Erfolg nicht so sehr an Titeln, sondern an der Art, wie wir Fußball spielen. Allerdings weiß ich, dass gerade in der heutigen Zeit vor allem Ergebnisse zählen. Manu hat also recht, wenn er dieses Ziel vorgibt.

Trauen Sie der deutschen Mannschaft den WM-Titel 2022 zu?

Ich traue uns sehr viel zu und sehe keine Nation, die uns weit überlegen ist. Wir haben ein starkes Team und ein gutes Konzept.

Was muss sich noch verbessern?

Manchmal sind wir noch etwas grün hinter den Ohren. In gewissen Momenten müssen wir erkennen, wann wir eine Pause einlegen und den Ball kontrollieren müssen, statt ständig zu attackieren und einen Ballverlust zu riskieren. Wir müssen die Gegner auch mal für ein paar Minuten dominieren, indem wir nur den Ball laufen lassen - nicht einschläfernd, sondern zügig und schnell mit wenigen Kontakten, um sie zu locken. Gerade gegen starke Teams können Ballverluste entscheidend sein. Da müssen wir die richtige Balance finden.

FRANKFURT AM MAIN, GERMANY - MARCH 23: Matthias Ginter attends a press conference of Germany at Kempinski Hotel Gravenbruch on March 23, 2022 in Neu-Isenburg, Germany. (Photo by Alex Grimm/Getty Images)  (Photo by Alex Grimm/Getty Images)

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Sie verloren zwei Champions-League-Endspiele. Haben Sie da etwas klarzustellen 2022?

Hoffentlich. Wir werden alles tun, dass es irgendwann klappt mit diesem besonderen Titel.

Was wäre für Sie wertvoller: Henkelpott oder WM-Pokal?

Eine sehr gemeine Frage. Beide zählen zu den größten Titeln im Fußball. Aber die WM findet nur alle vier Jahre statt, deshalb ist die Wahrscheinlichkeit, sie zu gewinnen, statistisch geringer. Die Champions League habe ich schon als kleiner Bengel im Fernsehen angeschaut, diesen Wettbewerb zu spielen war immer ein Traum - und jetzt ist es natürlich mein großes Ziel, sie zu gewinnen.

Bei der WM sind Sie 32. Ist die Heim-EM 2024 für Sie ein Ziel?

Wenn es Kopf und Körper zulassen, kann diese EM ein Thema sein. Ich entscheide nach der WM.

Was muss unter der Karriere des Nationalspielers Gündogan in jedem Fall stehen?

Abgesehen von Ergebnissen und Titeln soll man sich an mich als hochveranlagten und guten Fußballer erinnern, der anfangs nicht die Leistung abrufen konnte, die er wollte, aber gegen Ende gezeigt hat, was möglich war.

Sie spielen bei einem der attraktivsten Vereine der Welt, beim Ersten in der besten Liga der Welt und unter dem angeblich besten Trainer der Welt: Was soll da nach dem Vertragsende 2023 noch kommen?

Bei Manchester City bin ich sehr glücklich, fußballerisch gibt es derzeit keinen attraktiveren Ort. Ich kann mir vorstellen, über 2023 hinaus dort zu bleiben.

Laufen schon Vertragsgespräche?

Es gibt keine konkreten Gespräche, aber wir haben ein gutes Verhältnis. Ich bin da noch geduldig. Das eilt gerade nicht.

Zur ManCity-Mannschaft gehört der 25-jährige Oleksandr Zinchenko, der 48-mal für die Ukraine spielte. Wie geht er mit diesem fürchterlichen Krieg in seiner Heimat um? Wie tun Sie es als Kollege?

Es ist so schwer, damit umzugehen. Wir versuchen ihn zu stützen. Die Frau meines Bruders ist ebenfalls Ukrainerin, deshalb betrifft der Krieg meine Familie auch direkt. Wir haben neulich telefoniert, aber mir haben die Worte gefehlt. Man bietet jede Hilfe an, aber für den richtigen Umgang mit dieser schrecklichen Situation gibt es kein Muster.

Sportlich haben Sie aktuell die Chance auf drei Titel. Werden diese schönen Perspektiven von diesem Krieg getrübt oder gar verdunkelt?

Definitiv. So schön der Fußball ist und so viel Freude er uns bringt, gibt es doch nichts Wichtigeres als Gesundheit und Frieden.

Interview: Karlheinz Wild