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Fahrbericht: Mercedes B 220 d Sports Tourer

Top-Diesel mit 190 PS - Sparsam im Verbrauch - Praktische Vorzüge - Ab 39.336 Euro

Fahrbericht: Mercedes B 220 d Sports Tourer

B wie bieder? Auf die aktuelle dritte Generation der Mercedes B-Klasse trifft das nicht zu.

B wie bieder? Auf die aktuelle dritte Generation der Mercedes B-Klasse trifft das nicht zu. Hersteller

Wie er aussieht: "Aha, mit dem Renter-Mercedes", textet die beste Freundin zurück, als ihr die Abholung per B-Klasse annonciert wird. Die Skepsis schwindet etwas, als sich der vermeintliche Langweiler persönlich vorstellt. Wirklich bieder kommt der 4,42 Meter lange, aerodynamisch-glattflächige Karosserie-Mix aus ein bisschen Minivan, ein bisschen Kombi und ein bisschen Kompaktem jedenfalls nicht rüber.

Andererseits: Ein optischer Aufreger wird die B-Klasse auch nimmermehr. Warum Mercedes mit dem Beinamen "Sports Tourer" eine Dynamik herbeizureden versucht, die es doch gar nicht unbedingt braucht, will sich uns nicht erschließen. Nun ja: VW trifft beim (Auslaufmodell) Golf Sportsvan eine ähnliche Wortwahl, ebenso wie BMW beim 2er Active Tourer. Ganz so, als ob "praktisch" und "vernünftig" nicht schon per se Tugenden wären, die beim Kunden ankommen.

Wie er eingerichtet ist: Deutlich progressiver, als es die unspektakuläre Außenansicht vermuten lässt. Am Armaturenträger tut sich nebst voluminösen Lüftungsdüsen, diversen Direkttasten und der aufwendigen Ambientebeleuchtung die Breitbildlandschaft des Digital-Cockpits auf, das in der Widescreen-Version zwei 10,25-Zoll-Displays zu einer optischen Einheit zusammenfügt. Der linke Bildschirm beschäftigt sich mit den wichtigsten Fahrinformationenen, der rechte mit Infotainment, Navi, dem Fahrzeug selbst sowie mit gefühlt tausenderlei Dingen mehr. Die beste Freundin ist beeindruckt.

Wir verzichten darauf, die schier unendlichen Möglichkeiten zu beschreiben, die das MBUX-System (Mercedes-Benz User Experience) bereitstellt. Nur so viel: Bedienen lässt es sich intuitiv; entweder über das große Touchpad auf der Mittelkonsole, per Daumenwisch über die Mini-Touchpads am Lenkrad, per Fingertipp auf den Bildschirm oder per Sprachsteuerung, was auf den Zuruf "Hey Mercedes" und ganz vorzüglich funktioniert. Mitunter reagiert die freundliche Damenstimme allerdings schon, wenn sie nur das Wort "Mercedes" hört und eigentlich gar nicht gemeint ist.

Mercedes B-Klasse

Ziemlich progressiv: Das Widescreen-Cockpit in Kombination mit voluminösen Lüftungsdüsen und intensiver Ambientebeleuchtung. Hersteller

Besonders stolz ist Mercedes auf die "Augmented-Reality"-Darstellung, die bei Abbiege-Vorgängen die gesamte Szenerie gestochen scharf auf das Display überträgt und mit Richtungspfeilen illustriert. Uns erschien dies eher irritierend und buchstäblich wenig zielführend, da die Pfeile erst ganz unmittelbar vor dem Abbiegen und somit allzu spät auf dem Bildschirm auftauchen.

Sehr schön dagegen das (allerdings 1148 Euro teure) Head-up-Display. Und auch Verarbeitungsqualität, Materialauswahl und Sitze entsprechen erstklassigem Mercedes-Standard. Wer sich das Energizing-Plus-Paket leistet (2900 Euro), bekommt nebst Ambientelicht, Klimaautomatik, beheizbaren Massagesitzen und Soundsystem auch verschiedene Wellnessprogramme mit siuationsgerecht komponierter Licht- und Musikstimmung sowie mit Videoanleitungen, die sich beispielsweise der Lockerung der Muskulatur widmen. "Hey Mercedes, schalte die Massagefunktion rechts ein", ruft die beste Freundin und findet die B-Klasse auf einmal durchaus cool.

Wie viel Platz er hat: Der bequeme Einstieg und die vergleichsweise hohe Sitzposition erfreuen auch ohne Wellness-Goodies, der Fond nimmt komfortabel zwei, notfalls auch drei Passagiere auf. Die Investition von 418 Euro beschert eine um 14 Zentimeter längs verschiebbare Rückbank, gegen 174 Euro erweitert ein klappbarer Beifahrersitz die Transportmöglichkeiten. Die Rücksitzlehnen lassen sich im Verhältnis 40:20:40 umlegen, geschieht dies komplett, ergibt sich eine nahezu ebene Ladefläche. Der höhenverstellbare Ladeboden im 430 bis 1515 Liter großen Kofferraum ist serienmäßig, immerhin, die elektrische Easy-Pack-Heckklappe hingegen kostet schon wieder extra (452 Euro).

Von sensorgesteuert kann dann aber noch keine Rede sein, dieser Luxus gehört zum Keyless-Go-Komfort-Paket und schlägt mit weiteren 870 Euro zu Buche.

Mercedes B-Klasse

Der 140 kW/190 PS starke Zweiliter-Reihenvierzylinder im B 220 d ist der Top-Diesel im Programm. Hersteller

Was ihn antreibt: Unter den insgesamt vier Selbstzündern, die für die B-Klasse zur Wahl stehen, ist der Zweiliter-Reihenvierzylinder (Euro 6d) mit seinen 140 kW/190 PS und 400 Newtonmetern Drehmoment die stärkste Option. Entspannt und schnell reisen, das geht bestens mit dem B 220 d, dessen feine und akustisch kaum präsente Maschine kultivierten Dieselschub bereitstellt. Die Spitze liegt bei 234 km/h, die Beschleunigung von 0 auf 100 km/h erfolgt in 7,2 Sekunden.

Serienmäßig überträgt ein prima Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe die Antriebskräfte an die Vorderräder. Alternativ zum Fronttriebler lässt sich die Allradvariante "4-Matic" ordern.

Wie bei Mercedes üblich, wird das 8G-DCT über einen Lenkstockhebel bedient, der dort sitzt, wo sich bei anderen Autos der Hebel für den Scheibenwischer befindet. Nach einer kurzen, mit einigen unfreiwilligen Leerlauf-Aussetzern verbundenen Eingewöhnungsphase lernt man die markentypische Methodik schnell zu schätzen.

Wie er sich fährt: Die B-Klasse ist klar auf Komfort gepolt. Vor allem mithilfe des Adaptiv-Fahrwerks flauscht sie vorbildlich über Störstellen hinweg - Mercedes-Manieren, wie sie sich gehören und wie man sie gerne genießt. Den Sport-Modus haben wir als unhöflich empfunden und als unpassend sowieso, weder ist der B-Mercedes für die Kurvenhatz gemacht noch wird er für solche Zwecke gekauft, und tadellos sicher fährt es sich auch im "Comfort"-Programm.

Mercedes B-Klasse

Ein bisschen Kombi, ein bisschen Minivan, ein bisschen Kompakter: Die B-Klasse ist eng mit A-Klasse und GLB verwandt. Hersteller

Wirkungsvoll bei Nacht: Das optionale, blendfreie Multibeam-LED-Licht (1450 Euro), unter anderem mit Abbiegelicht, adaptiver Lichtverteilung und automatischer Leuchtweitenregulierung.

Unter den vielerlei verfügbaren Fahrhelfern haben uns zwei etwas missmutig gestimmt: Der überengagierte Spurhalteassistent, der das Touchieren einer durchgezogenen Linie mit einem rüden Bremseingriff quittiert und sich gelegentliche Fehleinschätzungen leistet, was dann umso mehr erschreckt. Und die Verkehrszeichenerkennung, die vor allem mit temporären Geschwindigkeitsbegrenzungen Probleme hatte und der wir irgendwann zu misstrauen begannen.

Festgestellt haben wir zudem, dass der B-Mercedes nicht ganz frei von Windgeräuschen bleibt.

Mercedes B-Klasse

Ambitioniert eingepreist: Der B 220 d kostet mindestens 39.336 Euro. Hersteller

Was er verbraucht: Bemerkenswert wenig. Im Schnitt verbuchten wir 6,2 l/100 km, wobei unsere Streckenführung durchaus längere und sehr zügig durcheilte Autobahnetappen enthielt. Im Schonverfahren lässt sich mit dem B 220 d gut eine Vier vor dem Komma erzielen. Auch hier dürfte sich die günstige Aerodynamik auszahlen.

Was er bietet: Unter anderem 8-Gang-Doppelkupplungsgetriebe, Regen-Licht-Sensor, Klimaautomatik, MBUX-Multimedia-System mit zwei 7-Zoll-Displays und Sprachbedienung, Multifunktions-Sportlenkrad, Digitalradio, Spurhalte-, Brems- und Geschwindigkeitslimitassistent sowie Fahrprogrammauswahl. Sonderlich viel ist das noch nicht. Dass die Preisliste 76 Seiten umfasst, lässt erahnen, in welch betrübliche Regionen der Anschaffungspreis abheben kann, zumal vieles, was anderswo schon serienmäßig ist (Sitzheizung, Aluräder, verschiebbare Rücksitzbank, Parksensoren), im Falle der B-Klasse extra bezahlt werden muss.

Was er kostet: Ab 39.336 Euro. Die 60.000-Euro-Grenze zu reißen, scheint keine allzu große Herausforderung. Die beste Freundin ist bestürzt.

Was wir meinen: Der Mercedes B 220 d heimst mit seinem hohen Fahrkomfort Punkte ein, vor allem aber dank seines kräftig-kultivierten und obendrein sparsamen Dieselmotors. Wer der Vernunft vor Charisma die Vorfahrt gewährt, ist mit der dieselnden B-Klasse bestens beraten. Immer vorausgesetzt, er kann sie sich leisten. Die beste Freundin muss mal nachdenken.

Ulla Ellmer

Die Daten des Mercedes B 220 d Sports Tourer

Hubraum 1950 ccm, Zylinder 4, Leistung 140 kW/190 PS bei 3800 - 6500/min, max. Drehmoment 400 Nm bei 1600 - 2600/min, Spitze 234 km/h, Beschleunigung 0 auf 100 km/h in 7,2 sec, Normverbrauch innerorts 5,8 - 5,5, außerorts 4,2 - 3,8, kombiniert 4,8 - 4,4 l/100 km D, Testverbrauch 6,2 l/100 km, CO2-Emission 125 - 117 g/km, Schadstoffklasse Euro 6d, Energie-Effizienzklasse A, Länge 4,42 m, Breite 1,80 m, Höhe 1,57 m, Kofferraum 445 - 1530 l, Kraftstoff-Tank 43 l (gegen Aufpreis 51 l), Leergewicht 1545 kg, zulässiges Gesamtgewicht 2080 kg, Zuladung 535 kg, Anhängelast 1600 kg (gebremst), 750 kg (ungebremst). 8-G-Doppelkupplungsgetriebe, Frontantrieb. Versicherungs-Typklassen 15 (KH), 23 (VK), 21 (TK). Preis ab 39.336 Euro.

Mercedes B 220 d Sports Tourer: Von wegen bieder