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SSC Neapel: Drei Gründe für die "Geschmacksexplosion"

Eine Stadt träumt vom Scudetto in der Serie A

Die Würze macht's: Drei Gründe für Napolis "Geschmacksexplosion"

Auf dem Weg zu Großem: die SSC Neapel um Europameister und Anführer Lorenzo Insigne.

Auf dem Weg zu Großem: die SSC Neapel um Europameister und Anführer Lorenzo Insigne. imago images/Fotoagenzia

Ottavio Bianchi kennt die goldenen Zeiten der Società Sportiva Calcio Napoli, kurz S.S.C. Napoli, aus erster Hand. Der frühere Profi ist ein gern gesehener Gast in der etwas mehr als drei Millionen Einwohner fassenden Stadt am Vesuv, schließlich hat der 78-Jährige in der Saison 1986/87 seinen Beitrag zur ersten Meisterschaft der Süditaliener geleistet. An seiner Seite damals: Klublegende Diego Armando Maradona.

Das argentinische Fußballidol, das den sportlichen Geist der fußballverrückten Stadt bis heute prägt, ist aber leider am 25. November 2020 verstorben. Und so sagt eben Bianchi, was sich auch der große Diego sicherlich gedacht hätte: "Napoli ist reif für den Scudetto!" Der ehemalige SSC-, Atalanta- und Milan-Profi wird so dieser Tage in den italienischen Medien zitiert. "Spalletti hat dem Team den unbedingten Siegeswillen verliehen. Das zeichnet Teams aus, die ganze Epochen prägen."

Trainersteckbrief Spalletti
Spalletti

Spalletti Luciano

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L. Insigne

Insigne Lorenzo

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Zambo Anguissa

Zambo Anguissa André-Frank

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Mertens Dries

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Politano

Politano Matteo

Spielersteckbrief Lozano
Lozano

Lozano Hirving

Serie A - Tabelle
Pl. Verein Punkte
1
SSC Neapel SSC Neapel
32
2
AC Mailand AC Mailand
32
3
Inter Mailand Inter Mailand
25
SSC Neapel - Die letzten Spiele
US Lecce Lecce (H)
0
:
0
AC Florenz Fiorentina (A)
2
:
2
SSC Neapel - Vereinsdaten
SSC Neapel

Gründungsdatum

01.08.1926

Vereinsfarben

Blau-Weiß

mehr Infos

Große Worte über ein Team, das nahezu perfekt in die Saison gestartet ist.

Dennoch stellt sich die Frage: Kann sich Napoli wirklich auch nach 38 Spieltagen an der Serie-A-Spitze behaupten - oder bricht der Meister von 1987 und 1990 abermals ein? Schließlich sitzt der Traditionsklub nach zwischenzeitlich arg tristen Jahren (viele Spielzeiten in der 2. Liga zwischen 1998 und 2007, zwischenzeitlicher Neustart in der Serie C im Jahr 2004) längst wieder an der großen Tafel des italienischen Fußballs. Und doch ist nicht mehr herausgesprungen als etwa drei dritte Plätze und vier Vizemeisterschaften.

Zu wenig für die eigenen Ansprüche, doch nun scheint es angerichtet ...

Grund 1: Der "Restaurantleiter" sagt an

Zu allererst braucht es für einen brummenden Laden einen Chef, der ansagt und vorangeht - und das ist in Neapel seit 2004 Aurelio De Laurentiis, der den damals bankrotten Traditionsverein kaufte und seither mit Geld und seiner Fußballleidenschaft wieder in die oberen Gefilde der Serie A gebracht hat. Finanzielle Konsolidierung inklusive. Bekannt ist der Präsident für klare Vorstellungen, für forsche Töne und für höchste Erwartungen - nichts anderes als die Meisterschaft wird Jahr für Jahr vom inzwischen 72-jährigen Römer angekündigt.

Etliche prägnante Zitate stammen vom Vorsitzenden der Neapolitaner, der die Stadt am Tyrrhenischen Meer mit all ihren sozialen Problemen längst genau kennt - und weiß, dass der Fußball den Einwohnern Hoffnung spenden kann. Wenn es ihm aber mal zu viel mit Fankritik wird, dann haut er Sätze raus wie: "Hier in Neapel funktioniert ein Scheißdreck [...] Es gibt aber den Fußball, also seid dankbar!"

Aurelio De Laurentiis

Ein Exzentriker, wie er im Buche stehen könnte: Napoli-Boss Aurelio De Laurentiis. imago images/Fotoagenzia

De Laurentiis, seines Zeichens einer der erfolgreichsten italienischen Filmproduzenten und lange Zeit in Hollywood aktiv sowie Neffe von Hollywood-Bekanntheit Dino De Laurentiis (u.a. Filmproduzent von "Ein Mann sieht rot" oder der Hannibal-Trilogie), passt mit seiner exzentrischen Art einfach nach Kampanien. Und er schreckt auch nicht davor zurück, Trainer trotz Erfolgs wieder wegzuschicken, weil der ihm einfach nicht groß genug war: Walter Mazzarri, Rafael Benitez, Maurizio Sarri, Carlo Ancelotti oder im vergangenen Sommer Gennaro Gattuso mussten sich früher oder später verabschieden trotz erreichter Vizemeisterschaften. Seit 2010 qualifizierte sich Napoli stets für einen internationalen Wettbewerb. Doch für ihn kommt eben nur die Champions League infrage: "Europa League? Dieser Wettbewerb geht mir am Arsch vorbei!"

Seit dieser Saison gilt sein Vertrauen dem hocherfahrenen Luciano Spalletti - und damit dieser eine schlagfertige Truppe formen konnte, hat der Präsident am Ende mal wieder ein Machtwort gesprochen. Zwischenzeitlich anhaltende Gerüchte um einen Abschied des gebürtigen Neapolitaners, Kapitäns und frischgebackenen Europameisters Lorenzo Insigne hat De Laurentiis ausgehalten. Nun spielt der Anführer eben weiterhin für die SSC, agiert dabei auch hochmotiviert, was vier Tore und drei Vorlagen unterstreichen. Wie der Exzentriker den unverzichtbaren Insigne genau vom Verbleib überzeugt hat, ist nicht bekannt.

Die Engländer leben schlecht, essen schlecht und ihre Frauen waschen sich nicht.

Aurelio Di Laurentiis

Nach außen jedenfalls hat der Präsident nichts getragen - wie vor Jahren, als Marek Hamsik und Ezequiel Lavezzi von Premier-League-Klubs umworben waren und De Laurentiis seinen Spielern den drohenden Wechsel mit folgendem "Märchen" unschmackhaft machen wollte: "Falls sie nach England wollen, dann werden sie das am Ende auch tun. Aber eine Sache müssen sie verstehen: Die Engländer leben schlecht, essen schlecht und ihre Frauen waschen sich nicht." In heutigen Zeiten lässt sich eine weltweit angesehene Küche wie die italienische auch in England genießen. Sei's drum: In Neapel schmeckt es Fans, Spielern und Präsident derzeit auf jeden Fall besonders gut.

Grund 2: Der "Koch" wählt die Zutaten

Das hat in erster Linie mit Trainer Spalletti zu tun, der zwar abgesehen von zwei russischen Meisterschaften mit Zenit St. Petersburg (2010, 2012) oder zwei Pokalsiegen mit der Roma (2007, 2008) nicht allzu viele Titel vorweisen kann, aber dennoch großes Ansehen genießt. Der heute 62-Jährige gilt als Fußballlehrer mit klarer Philosophie, der auch vor harten Entscheidungen nicht zurückschreckt (Francesco Tottis Giallorossi-Ende 2017 ist auch mit Streitereien wegen des Trainers einhergegangen, weil dieser den Klub längst schon auf die Zeit nach der Legende vorbereitet hatte). Vor seinem Napoli-Engagement hatte er Inter Mailand (2017 bis 2019) fast zurück nach ganz oben geführt.

Luciano Spalletti

Kennt die "sieben Schwestern": Luciano Spalletti. imago images/ZUMA Press

Zusammen mit dem Sportdirektor, Manager und Präsidenten De Laurentiis hat Spalletti in Neapel Stand jetzt die richtigen Hebel in Bewegung gesetzt, um einen Titelkandidaten zu formen. Bei aller Offensivqualität und Finesse, die schon seit Jahren zu sehen ist und auf die auch Spalletti gern setzt, besticht die Defensive, die an den zwölf Spieltagen (zehn Siege, zwei Remis) erst vier Gegentore kassiert hat. In allen Mannschaftsteilen hilft es dabei, dass vergangene Saison hin und wieder verletzte Leistungsträger nun vollends fit sind.

"Mit ihm sind wir noch mehr zu einer Mannschaft geworden. Wir denken alle wie eine einzige Person. Das macht uns so stark", sagt Mittelfeldspieler Eljif Elmas über seinen Coach, der das Team auch gegen Widerstände stets pushen und richtig anfassen soll. Was sicherlich schwierige Spiele wie das 2:1 gegen Juventus, das 2:1 in Florenz oder das erst spät erreichte 1:0 gegen den FC Turin erklären dürfte.

In unserem sehr wechselhaften Geschäft werden Kleinigkeiten entscheiden.

Luciano Spaletti

Spalletti selbst weiß aber auch zu mahnen und gerade wegen der qualitativ dichten Serie-A-Spitze nicht in Euphorie zu verfallen. Dabei verwies er auch mal wieder auf die "sette sorelle", die "sieben Schwestern". Mit ihnen werden in Italien traditionell die sieben Mannschaften beschrieben, die ganz vorn mitmischen. Neben Juve, Inter, Milan, Roma und Lazio sind das in den 90er Jahren Parma und Florenz gewesen, nun eben Atalanta und Napoli. "Diese sieben Schwestern werden alle bis zuletzt um den Titel kämpfen. In unserem sehr wechselhaften Geschäft werden deswegen Kleinigkeiten entscheiden", so Spalletti.

Grund 3: Die "Pizza" schmeckt erst als Ganzes

Am Ende muss aber noch immer die Mannschaft für die "Geschmacksexplosion" sorgen - und das gelingt bis hierhin, auch wenn es zuletzt zwei Remis in vier Ligaspielen gegeben hat und so das ebenfalls bärenstarke Milan punktetechnisch gleichgezogen ist (jeweils 32 Zähler).

André-Franck Zambo Anguissa

Einer der Schlüssel bei Napoli: Neuzugang und Mittelfeldmotor André-Franck Zambo Anguissa. imago images/sportphoto24

Der genaue Blick zeigt, dass hier mehrere Faktoren greifen - zuallererst ein starkes afrikanisches Trio: Der Nigerianer und frühere Wolfsburger Victor Osimhen (22, 2020 für über 60 Millionen als Rekordeinkauf von Lille OSC gekommen) zündet im zweiten Jahr verletzungsfrei erst so richtig. Mit seiner Robustheit gelangen ihm nicht nur Tore (fünf), er macht auch Bälle fest und lässt den sonst von der Größe her eher sehr kleinen SSC-Angriff (Insigne, Dries Mertens, Matteo Politano) mit seinen 1,85 Metern deutlich anwachsen.

Defensiv hält der senegalesische Abwehrchef Kalidou Koulibaly, der seit Jahren mit einem Wechsel in Verbindung gebracht wird und doch wieder geblieben ist, den Laden zusammen. André-Franck Zambo Anguissa, der von Premier-League-Absteiger Fulham gekommen ist, ist der Dritte im afrikanischen Bunde - und erweist sich in seinen bisherigen Matches als makelloser Lückenschließer im Mittelfeld. Der lauf-, zweikampfstarke und extrem passsichere Kameruner macht das sichtbar, was Spalletti geschafft hat: die Teamteile zu verbinden. Vorn können sich Fabian Ruiz, Insigne & Co. austoben, defensiv steht die Wand.

Ich habe in Rom trainiert, der Stadt des Papstes, in St. Petersburg, der Stadt der Zaren, in Mailand, der Modestadt. Nun trainiere ich das Team von Maradona - in einer Stadt, in der der Fußball und Wunder dasselbe sind.

Luciano Spalletti

Darüber hinaus zeigt sich die Stärke der Partenopei in dieser Saison eben auch in der Breite des Kaders. Gestandene Abwehrkräfte wie Juan Jesus oder Kostas Manolas (jeweils ehemals Roma) sind nicht Stamm. Im Mittelfeld muss der ehemalige Leipziger Diego Demme auf Einsatzchancen hoffen, während vorn Adam Ounas, Hirving Lozano, Andrea Petagna und sogar Mertens, seines Zeichens mit 136 Treffern erfolgreichster Torschütze der Napoli-Geschichte vor Hamsik (121) und Legende Maradona (115), reingeworfen werden können.

Was zählt im Fußball?

Alles in allem ist in Neapel also einiges angerührt, um den dritten Scudetto endlich heimzuholen. Hinzu kommt noch der Fakt, dass das altehrwürdige San Paolo (das De Laurentiis schon mal als Toilette beschimpft hat), inzwischen in Anlehnung an die SSC-Ikone Diego Armando Maradona Stadion heißt und nach langer Corona-Stille wieder mit den heißblütigen Fans gefüllt ist. So wird wieder der bekannte Hexenkessel draus.

Das könnte ein weiterer Schlüssel für die Meisterschaft sein, wie Coach Spalletti erst kürzlich bei DAZN gesagt hat: "Was zählt im Fußball sind gute Spieler, ein gut organisierter Klub und eine Fanbasis wie unsere."

Markus Grillenberger

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