kicker

Über 3000 Tage oben: Warum Juventus die Serie A immer noch dominiert

Der neunte Titel in Serie - ohne "Sarrismo", mit Rekord-Ronaldo

Über 3000 Tage oben: Warum Juventus die Serie A immer noch dominiert

Rekord von Juve: Noch nie zuvor hat sich ein Klub aus Europas fünf Top-Ligen neunmal in Folge zum Meister aufgeschwunden.

Rekord von Juve: Noch nie zuvor hat sich ein Klub aus Europas fünf Top-Ligen neunmal in Folge zum Meister aufgeschwunden. Getty Images

Was haben die Jahre 2012, 2013, 2014, 2015, 2016, 2017, 2018, 2019 und 2020 gemeinsam? Ganz einfach: Juventus Turin wurde jedes Mal Meister. Neun Scudetti in Serie, zugleich ein neuer Bestwert in Europas Top-5-Ligen, sprechen eine deutliche Sprache, lassen den Rekordmeister (36 nationale Titel) auch in diesem Jahr feiern - und andernorts Kritiker einmal mehr von der weiterhin gähnenden Fußballlangeweile an Italiens Spitze philosophieren.

Das letzte Team, das die Mannen aus Turin in einer kompletten Staffel besiegen konnte, verfügte noch über Granden wie Andrea Pirlo, Ronaldinho, Filippo Inzaghi, Zlatan Ibrahimovic, Robinho, Alessandro Nesta, Thiago Silva, Clarence Seedorf oder Gennaro Gattuso. Das war die AC Milan 2010/11.

Trainersteckbrief Sarri
Sarri

Sarri Maurizio

Trainersteckbrief Allegri
Allegri

Allegri Massimiliano

Spielersteckbrief Cristiano Ronaldo
Cristiano Ronaldo

Dos Santos Aveiro Cristiano Ronaldo

Spielersteckbrief Dybala
Dybala

Dybala Paulo

Spielersteckbrief Bonucci
Bonucci

Bonucci Leonardo

Spielersteckbrief de Ligt
de Ligt

de Ligt Matthijs

Spielersteckbrief Chiellini
Chiellini

Chiellini Giorgio

Spielersteckbrief Pjanic
Pjanic

Pjanic Miralem

Spielersteckbrief Buffon
Buffon

Buffon Gianluigi

Spielersteckbrief S. Khedira
S. Khedira

Khedira Sami

Spielersteckbrief Can
Can

Can Emre

Juventus Turin - Die letzten Spiele
AS Rom Roma (A)
1
:
1
AC Mailand Milan (H)
0
:
0

"Schuld" an diesem eintönigen Zustand im Oberhaus sind aber nunmal auch jene Vielzahl an angriffslustigen Konkurrenten: Inter Mailand um Stars wie Romelu Lukaku blies mit dem ehemaligen Juve-Coach Antonio Conte letztlich vergebens zum Angriff, Atalanta Bergamo explodierte einen Tick zu spät, andere Größen wie Napoli, Milan oder die Roma rauchten (mal wieder) frühzeitig ab - und das seit 2000 auf den dritten Scudetto hoffende Lazio wurde tragisch von der Realität eingeholt. Denn waren die Biancocelesti vor der Corona-Zwangspause dicht dran an der Alten Dame, war den Römern seither klar die Luft ausgegangen. Dazu kam der Umstand, dass sich Lazio ohne die Pandemie ausschließlich auf die Liga hätte fokussieren können, während Turin viele englische Wochen und eventuell mehr Probleme als üblich gehabt hätte.

Doch wie sagt man so schön: Hätte, hätte - Fahrradkette.

Über 3000 Tage - und es wird weitergezählt

Die Bianconeri selbst, zu denen vor der Saison Urgestein Gianluigi Buffon zurückgekehrt war und selbst einige starke Auftritte beisteuerte, erfüllten ihren Job dagegen erneut und insgesamt auch souverän. Einige schwierige Phasen gab es aber zwischendurch: Anfang Dezember dominierte Lazio die Alte Dame beim 3:1, fügte ihr so die erste Saisonniederlage zu - auch der Supercup ging gegen die Biancocelesti verloren. Ende Januar unterlag Juve kurz hintereinander in Neapel und Verona jeweils 1:2. Zum Start nach der Corona-Krise litt Cristiano Ronaldo außerdem an einer Art Ladehemmung, die für mediale Kritik sorgte und zur Niederlage im Coppa-Finale gegen die Neapolitaner (2:4 i.E.) beitrug.

Und Ende Juli ging der Mannschaft sichtbar die Luft aus (nur ein Sieg in fünf Ligaspielen, darunter auch etliche verspielte Führungen). Coach Maurizio Sarri dazu nach dem spät gefangenen 1:2 in Udine, als sein Team die Meisterschaft mit einem Sieg bereits früher hätte eintüten können: "Zu diesem Zeitpunkt der Saison ist es schwer, wir sind alle müde." Es sei sehr kompliziert, "mental und körperlich für 90 Minuten auf Ballhöhe zu bleiben. Die Spiele sind seltsam und das Momentum ändert sich sehr leicht."

Es sollte letztlich bis zum drittletzten, 36. Spieltag dauern, ehe mit müden Knochen mit einem 2:0 gegen Sampdoria Genua alles klar gemacht wurde - und dieser große Klub nun schon über 3000 Tage nicht mehr in der Serie A vom Thron gestoßen werden konnte. Dies zelebrierten die Beteiligten ausgiebig, Juan Cuadrado sprühte zum Beispiel Schiedsrichterspray auf den Kopf seines rauchenden Trainers, während CR7 & Co. zum tanzenden Kreisel anstimmten und sich der nach Kreuzbandriss noch geschonte Kapitän Giorgio Chiellini zum einzigen Spieler feiern lassen durfte, der in all diesen neun Jahren für Juve spielte.

"Dybaldo" & Co.: Die Schlüssel zum Erfolg

Hin und wieder rollte Turin in dieser sehr langen Saison ganz nebenbei auch über Gegner hinweg, was neben dem Ende Juni und Anfang Juli schnell wieder herausragenden Rekordmann CR7 (31 Tore nach 32 Einsätzen und zugleich der erste Spieler mit 50 oder mehr Treffern in Englands Premier League, Spaniens La Liga und Italiens Serie A) unter anderem an zwei weiteren Faktoren festzumachen war ...

Paulo Dybala und Matthijs de Ligt haben im Dress von Juventus überzeugt.

Fingerzeige: Paulo Dybala und Matthijs de Ligt haben im Dress von Juventus Turin in dieser Saison überzeugt. imago images

Punkt 1: In der Defensive stabilisierte sich der von Ajax Amsterdam gekommene junge Innenverteidiger Matthijs de Ligt (20) an der Seite von Abwehrchef Leonardo Bonucci (33) nach anfänglichen Problemen schnell und wurde in Abwesenheit von Kapitän Chiellini (35) zu einem neuen, zuverlässigen und zukunftsträchtigen Fels.

Punkt 2: In der Offensive hatte sich Paulo Dybala vergangenen Sommer schon auf einen Abschied Richtung London vorbereitet, sollte bekanntlich verkauft werden. Auch ein Arrividerci-Video für die sozialen Kanäle war laut "Gazzetta dello Sport" bereits abgedreht. Doch nach vielen Sitzungen auf der Bank spielte sich "La Joya" (Das Juwel) zurück ins Rampenlicht und überzeugte die Bosse der Turiner nachhaltig. Elf Tore und elf Vorlagen nach 33 absolvierten Einsätzen sprachen bis zur zwei Runden vor Saisonschluss erreichten Meisterschaft für sich. Mit Cristiano Ronaldo verstand sich der Argentinier dabei immer besser und besser, sodass erst der Spitzname "Dybaldo" entstand und nun mit Dybala verlängert werden soll. Sein aktueller Vertrag läuft bis 30. Juni 2022.

Sarri hadert häufig

Es bleibt aber der Eindruck, dass mehr möglich gewesen wäre für Inter, Atalanta und Lazio. Denn auch spielerisch hat Juve in dieser Spielzeit immer mal wieder Probleme gehabt: Der neue Trainer Sarri, der vor der Saison auf den höchst erfolgreichen Massimiliano Allegri gefolgt war, hat sein gewünschtes System noch nicht vollends auf das jahrelang etablierte Juve-System münzen können. Stete Diskussionen - auch mit und über Cristiano Ronaldo - waren genauso die Folge wie ein leidender Zigarettenstummel.

Wie ist das Verhältnis zwischen Maurizio Sarri und Cristiano Ronaldo?

Ist etwas dran an den Gerüchten? In diesem Bild begegnen sich in jedem Fall Juve-Trainer Maurizio Sarri und CR7 gut gelaunt. imago images

Sätze wie diese schleuderte der in der Wortwahl ohnehin immer deutliche Sarri öfters ans eigene Team: "Ich kriege die Spieler nicht dazu, zu verstehen, wie wichtig es ist, den Ball zügig laufen zu lassen." Auch eine notwendige erwachsene Einstellung zu diesem Sport sprach Sarri seinen Schützlingen zwischenzeitlich mal ab.

Parallel tauchten und tauchen in der aufgeregten italienischen Medienlandschaft immer wieder Gerüchte über eine schnelle Nachfolge auf, zumal der Fußball der Alten Dame eben (noch) nicht den aus Neapel bekannten "Sarrismo" versprüht - sondern im Vergleich zu Mannschaften wie Atalanta oder Lazio eher etwas karg (dafür aber etwas beständiger) daherkommt. Auch Spekulationen um einen persönlichen Bruch mit CR7, der neben Toren aus dem Spiel heraus und (endlich) einem direkt verwandelten Freistoß auch zwölf von 13 Elfmetern versenkt hat (ein Lattentreffer), gibt es regelmäßig. Dennoch soll Sarri auch 2020/21 weitermachen dürfen, langfristig könnte indes die aktuell die U 23 betreuende Legende Andrea Pirlo den von Boss Andrea Agnelli geführten Laden übernehmen - und einen ähnlichen Weg wie Real-Ikone Zinedine Zidane, selbst früher Spieler bei Juventus (1996-2001), einschlagen.

Wie geht es bei den Bianconeri weiter?

Es wird spannend zu beobachten sein, wie sich Juve im August in der Champions League schlagen wird (0:1-Rückstand im Achtelfinale gegen Lyon) und in Zukunft weiterentwickeln wird - woran natürlich Sarris Leistung beurteilt wird. Mit dem Transfertausch weg vom eher gemächlicheren (natürlich aber auch sehr sicheren) Ballverteiler Miralem Pjanic hin zum jungen, moderneren Brasilianer Arthur vom FC Barcelona ist dahingehend eine Planstelle schon abgehakt, außerdem könnte nach dem Abschied von Emre Can im Winter zum BVB in absehbarer Zeit auch der des erneut häufig verletzten Weltmeisters Sami Khedira folgen.

Cristiano Ronaldo ist nach wie vor überragend unterwegs auf Europas Fußballbühne.

Tore und starke Aktionen am Fließband: Cristiano Ronaldo ist nach wie vor überragend unterwegs auf Europas Fußballbühne. imago images

In jedem Fall soll natürlich Aushängeschild Cristiano Ronaldo bleiben - und seine Tore, Jubelsprünge sowie lauten "Siii"-Ausrufe in Bälde auch wieder vor ausverkauften Rängen zelebrieren. Schon jetzt ist der 35-jährige Portugiese mit seinen 31 Saisontoren (Stand vom 26. Juli 2020) der zweiterfolgreichste Juve-Akteur in dieser Rubrik. Lediglich Felice Borel 1933/34 mit 31 und John Hansen 1951/52 mit 30 waren ähnlich stark unterwegs. Weitere Rekorde und Marken winken obendrein. CR7 zeigt sich diesbezüglich aber bescheiden: "Meine persönlichen Rekorde sind mir zwar wichtig. Am Ende zählt die Mannschaft und ihre Resultate."

Dennoch gehören ihm allein viele, viele Schlagzeilen der italienischen Tageszeitungen. "Cristiano Ronaldo setzt seine Unterschrift unter Juves neunten Titel", schrieb zuletzt etwa "Tuttosport", die "Gazzetta dello Sport" lobte die Gier des Europameisters von 2016: "Er ist unersättlich." Und auch von seinem Trainer Sarri, der mit 61 Jahren und 198 Tagen der älteste jemals zum Meister gekrönte Serie-A-Trainer wurde (vor dem 60-jährigen Nils Liedholm 1983), kassiert CR7 ein geradezu pathetisches Lob: "Er ist nicht nur mit seinen Füßen, sondern auch im Kopf ein Champion. Seine Fähigkeit, zwischen vielen Spielen schnell zu regenerieren, ist absolut außergewöhnlich." So viel zum Verhältnis zwischen Coach und Superstar ...

Markus Grillenberger